Bolivien – Impressionen einer einzigartigen Reise

Hamburg 1997, Ein Kollege lädt mich mit Freunden nach Bolivien ein. Er plant ein grosses Fest in Quime, ein kleines Bergdorf in den Anden. Für uns wird es eine unvergessliche Reise in eine andere Welt.

Einleitung

Bolivien MapNovember 2007: Obwohl es jetzt schon viele Jahre zurück liegt, denke ich immer noch gern an unsere Reise nach Bolivien. Beim Durchstöbern unserer alten Fotos sind mir dann diese Bilder unter die Finger gekommen. Als ich auf die Rückseite sah, wurde ich doch etwas nachdenklich – Das ist ja schon 10 Jahre her! Mir kommt es immer noch so vor, als wäre es letztes Jahr gewesen. Und genau deshalb möchte ich jetzt die Gelegenheit nutzen und diese Seite mit den Eindrücken von damals erstellen und damit Luis und seiner Familie für die aufregenden Tage in Bolivien danken.

Sommer 1997: Es war ein ganz normaler Arbeitstag, als Luis mich fragte, ob ich mit Ihm nach Bolivien komme. Er wolle dort eine Riesenfete feiern und brauche noch etwas Unterstützung. So bildeten wir eine kleine Reisegruppe und verabredeten uns bei Luis Eltern in Oruro. Über die interessante und aufregende Anreise nach Bolivien möchte ich hier nicht berichten, aber wir kamen nach drei Tagen ohne Probleme in Oruro an.

Oruro

markt_klein

Bei einem Stadtbummel durch Oruro

Als wir nach einer mehrstündigen Busfahrt vom Flughafen La Paz in Oruro ankamen, wurden wir herzlich von Luis‘ Mutter empfangen. Wir tauschten die Erlebnisse unserer Anreise aus und machten uns schon mal im Gästezimmer breit. Luis zeigte uns den Ort und am Abend gingen typisch bolivianisch essen. Es gab Teigtaschen mit leckerer Füllung.
Die erste Nacht war schrecklich: Die dünne Höhenluft ließ mich nachts aufwachen. Ich dachte, ich muß ersticken. Oruro liegt im 4000m hoch gelegenen Hochplateau von Bolivien. Und wer schon mal bergsteigen war, wird wissen was ich meine.
Zum Frühstück gab es Brötchen mit Marmelade und stark gesalzener Butter. Da es im Haus keine Heizung gab, saßen wir mit dicken Jacken am Tisch.

Das Klima war außergewöhnlich; nachts gab es knackigen Frost und tagsüber konnte man in der Sonne mit T-Shirt herum laufen, wobei im Schatten das Wasser auf den Strassen gefroren war. Nach zwei Tagen waren wir so durchgefroren, das uns Luis‘ Idee, zu einer warmen Therme zu fahren, wie ein Weltwunder vorkam. Wir bestellten uns ein Taxi, und Luis sagte dem Fahrer wo es hingehen soll. „Bezahlt den Taxifahrer erst, wenn ihr wieder hier seid!“ gab er uns mit auf den Weg. Was er damit meinte wurde uns später klar. Er fuhr mit uns aus der Stadt und nach ein paar Kilometern verließ er die Straße, um einfach auf der wüstenähnlichen Ebene ins Ungewisse zu fahren. Nach einer viertel Stunde kam der feine Sand schon durch alle Ritzen und Spalten des alten Autos, aber er fuhr einfach weiter auf eine Bergkette zu. Nie im Leben hätten wir je wieder zurück gefunden! Als plötzlich wieder eine Straße zu sehen war, wurden wir aufmerksam. Wenige Minuten später hielten wir vor einem Garten, der von einer Mauer umgeben war. Der Eingang erinnerte mich an einen Tierpark. Aber ich lag völlig falsch. Es war ein Freiluftschwimmbad, welches mit dem warmen Wasser einer Therme gefüllt war. Der Taxifahrer wartete brav vor dem Eingang und versuchte sein Auto etwas in Schwung zu bringen. Hätten wir ihm jetzt das Geld gegeben, wären wir verloren, denn außer uns (Iris, Ralf und Ich) war niemand hier.
Zum Umziehen standen uns Umkleidekabinen zur Verfügung, deren eigentliche Bedeutung uns erst später bewußt wurde. Durch eine gemauerte Grube floß etwas Wasser. Hätten wir das bereitstehende Brett am Ausluß des Beckens in den Schlitz geschoben, hätten wir nach kurzer Zeit einen privaten Pool gehabt. Da wir diese Funktion erst beim Gehen erkannten, nahmen wir das große Schwimmbecken in der Mitte des Gartens. Es war ein Genuß. Endlich mal wieder richtig aufwärmen!
Die Rückfahrt kam uns wesentlich kürzer vor, wir wußten ja was uns erwartet. Dachten wir zumindest: Kurz vor der Stadt hält der Fahrer an und springt aus dem Wagen. Unsere Verwirrung legte sich aber schnell, er mußte nämlich vor der Stadt seinen Wagen vom Wüstendreck befreien.

Mine

Eine Bergbaumine nahe Oruro

Ich weiß nicht mehr, wieviel Taxigeld er von uns bekam, aber verdient hatte er es sich allemal.
In Oruro gab es einiges anzusehen. Es ist eine kleine Bergbaustadt mit einem schönen Markt. Ein Highlight für mich war jedoch eine kleine Wanderung mit Ralf auf den naheliegenden Berg.
Wir konzentrierten uns darauf langsam zu gehen, denn die Höhe machte uns schnell zu schaffen. Ohne Plan gingen wir los. Als wir oben ankamen, bot sich uns ein herrlicher Blick. Ich kam mir vor, wie in einem Western-Film. Ein Tal mit einer scheinbar stillgelgten Mine! Damit war das Ziel für uns klar. Wir kamen durch eine kleine tote Siedlung und erreichten bald die Mine. Wir nahmen alles genau unter die Lupe. Plötzlich begann sich das Rad für den Förderkorb zu drehen. Die Mine war noch in Betrieb! Nach kurzer Zeit kamen Bergleute, die von oben bis unten schwarz waren, aus dem Nichts zum Vorschein. Es war unvorstellbar!
Für den Rückweg wählten wir eine andere Strecke. Wir kletterten auf einen Bergkamm und hatten eine traumhafte Aussicht auf die Stadt und über die davor liegende Ebene.
Mit der Zeit lernten wir die ersten Worte Spanisch – so konnten wir schon Brötchen holen und Bier bestellen.
Der Tag zur Abreise nach Quime (dort sollte die Fete starten) rückte näher. Luis fiel ein, das wir noch „ein paar“ Anstecker zusammenbauen mußten. Es war eine schreckliche Arbeit und obwohl alle mit anpackten mußten einige von uns bis in die Nacht hinein arbeiten.

Basteln

Anstecker für das Fest

Luis bestellte einen Bus für uns und unser Gepäck. Mitten in der Nacht weckte uns Luis und sagte, es muß schnell gehen; der Bus ist da. Als wir raus kamen fragten wir uns: „Wo ist eigentlich der Bus?“. Außer einem kleinen Toyota Bus stand kein Fahrzeug auf der Straße. Dieser konnte unmöglich für 12 Personen und ca. 300kg Gepäck sein. Wir täuschten uns: Das Gepäck wurde auf das Dach geladen und provisorisch festgemacht. Danach stiegen die ersten Leute ein. Danach kam wieder Gepäck, was die Leute auf den Schoß nahmen. Danach die nächsten und so weiter. Bis endlich der Fahrer drin war. Wie kalt es in dieser Nacht war, merkten wir, als die ersten von uns am Fenster festgefroren waren.

Zwischenstop

Bolivianische Raststätte

Nach einiger Zeit, es war immer noch dunkel, machten wir einen Zwischenstop an einer Raststätte. Es war eine Art Bauernhof mit großem Parkplatz und einem kleinen Shop, in dem es auch Kaffee gab. Außer uns hielten auch LKWs mit riesigen Aufbauten auf der Ladefläche. Diese waren mit hunderten Bündeln aus typisch bolivianischen Tüchern gefüllt. Als der Fahrer hupte kamen einige Frauen und Männer angelaufen, kletterten auf den LKW und verkrochen sich zwischen den Bündeln, die mit Dingen für den Markt gefüllt waren. Trotz der großen Kälte fuhren sie so von Ort zu Ort.
Als wir uns gestärkt hatten und alle noch einmal auf Toilette waren ging es weiter. Die Straße wurde von nun an durch eine Schotterpiste ersetzt und nachdem es langsam hell wurde, konnten wir auch sehen, wo wir uns befanden: Eine riesige Wüste, eine Piste und unser Bus. Mehr gab es hier nicht!
Einer von uns fing an zu schreien. Wir hatten etwas verloren. Bis der Fahrer wußte, was los ist, waren wir schon einen Kilometer weiter. Wir hielten an. Weit und breit nichts zu sehen.

Strasse

Mitten in der Wüste haben wir etwas verloren

Da wir nicht wußten, was wir verloren hatten, ging Walter und der Fahrer zu Fuß zurück, um nachzusehen. Die anderen nutzten die Gelegenheit, sich die Füße zu vertreten. Wir sahen freilebende Lamas und sogar Einheimische, die mit einem Esel zu Fuß auf der kilometerlangen Wüstenstraße unterwegs waren. Die Beiden haben nichts gefunden.
Als wir das Hochplateau verließen und langsam ins Tal fuhren wurde es viel wärmer und Luis erzählte uns, was wir in Quime zu erwarten haben.

Quime

Die letzten Kilometer der Fahrt war abenteuerlich. Es war eine Bergstraße, die sich langsam ins Tal nach Quime schlängelte und eher für Geländewagen oder Wanderer gedacht war, als für einen völlig überladenen Kleinbus. Die Temperaturen im Bus stiegen ins Unerträgliche und alle waren froh, als wir im kleinen Bergdorf ankamen – Quime, unser Ziel.
Als erstes machten wir uns auf die Suche nach unserer Unterkunft. Luis hatte eine Jugendherberge für uns gemietet. Besucher scheint es dort selten zu geben, aber die Zimmer waren sauber und es stand für jeden von uns ein Bett bereit. Im Hinterhof des Hauses befand sich sogar eine alte Sauna. In einem kleinen Raum nebenan konnte Feuer gemacht werden, um den angrenzenden Saunaraum aufzuheizen. Wir haben es nicht ausprobiert.

Blauer Salon

Blauer Salon: Unsere Unterkunft in Quime

Erste Begeisterung kam beim Anblick der Toiletten auf: echte Spül-WCs. Diese hielt jedoch nicht lange an. Denn es gab kein Wasser zum Spülen und das Papier durfte nicht ins Becken geworfen werden. Wie sich das entwickelt, kann sich jeder ausmalen.
Die Unterkunft war strickt nach Männern und Frauen getrennt und uns wurde nahegelegt, die Zimmer des anderen Geschlechts nicht zu betreten.
Die erste Nacht war zu Ende, als uns eine Blaskapelle weckte, die kreuz und quer durch das Dorf zog. Zuerst dachten wir, das kann doch nicht sein. Aber Blaskapellen sind dort ganz normal. Und ich meine kein Panflötenorchester sondern echte deutsche Volksmusik auf Bolivianisch! Im Laufe des Tages verwandelte sich der gesamte Ort von einem Bergdorf in einen festlich geschmückten Karnevalsort. Jedes Jahr wird zu Ehren des Apóstol Santiago ein großes Fest veranstaltet. Traditionell veranstalten mehrere Personen Feten, zu denen bestimmte Personengruppen des Ortes eingeladen sind. Diese Personen bestimmen dann je eine Person, die im darauf folgenden Jahr diese Ehre hat. Luis hatte sich so gut es ging, von Deutschland aus, auf dieses Ereignis vorbereitet. Hier kamen wir als deutsche Gäste ins Spiel. Beim spektakulären, karnevalsähnlichen Umzug von Luis sollten wir Cocktails „for free“ für alle Personen im Ort verteilen. Angemischt wurden die Getränke in 100l Fässern. Als es losging bewaffneten wir uns mit großen Plastikkaraffen und Plastikbechern. Jeder der am Straßenrand einen Becher haben wollte, bekam auch einen. Der erste Schluck ging dabei immer „für Mutter Erde“ auf den Boden. Für uns war das anfänglich eine sehr ungewöhnliche Geste. Direkt hinter uns folgten die von Luis angagierten Tänzerinnen und dahinter die restlichen Gäste von Luis. Es war ein Riesenspektakel! Der Umzug endete am Marktplatz direkt vor der Kirche.

Luis auf Pferd

Luis auf seinem Pferd

Standesgemäß ritt Luis auf einem toll geschmückten Pferd mit uns die gesamte Strecke hinunter zum Marktplatz. Das Pferd wurde vorher in einer traditionellen Zeremonie geweiht. Dazu wurde Rauch von Kokablättern verbreitet, Gebete gesprochen und ein ordentlicher Schluck Bier getrunken.
Die Feierlichkeiten dauerten bis tief in die Nacht und gingen am nächsten Tag noch weiter. Luis hatte einen kleinen Hof gemietet, in dem die Tänzerinnen nach Musik einer eigenen Kapelle tanzten. Zu Essen gab es Fleisch von einem frisch geschlachteten Schwein mit Reis und typische, bolivianische Kartoffeln. Der Bürgermeister kam vorbei und es herrschte die ganze Zeit einen ausgelassene Atmosphäre.

Karneval in Quime

Das Bergdorf wurde zum Karnevalsort

Trotzdem nutzen wir die Gelegenheit, um auch die Gegend um das Dorf zu erkunden. So fanden wir einen Bauern, auf dessen Pferd die Kinder eine Runde reiten durften. Am anderen Ufer des kleinen Flusses, der sich in seinem steinigen Bett durch das Tal schlengelte durften wir Zeuge einer dörflichen Schweineschlachtung werden. (Wer so etwas nicht so gut findet liest bitte diesen Absatz nicht zu Ende) Das bereits tote Schwein wurde mitten auf einer Wiese von zwei Männern festgehalten, während ein Dritter mit einem Messer anfing den Brustkorb bis zum Bauch aufzuschneiden. Es dauerte ziemlich lange, bis die Knochen und Knorpel durchtrennt waren und die beiden Männer beginnen konnten, den Brustkorb mit aller Gewalt auseinander zu ziehen. Als das Tier geöffnet war trugen die Männer es zum Fluß, wo bereits eine Frau auf sie wartete. Sie entleerten das ganze Tier samt Gedärm im hochgehebenen Rock der Frau, die sofoert begann die Organe zu säubern und die Därme im Fluß auszudrücken.

Entsprechend erstaunt waren wir als wir wenige hundert Meter weiter flußabwärts Frauen dabei beobachteten, wie sie ihre Wäsche im Fluß wuschen. Unser Ausflug führte uns dann noch an den Rand großer Akazienhaine, die einer deutschsprachigen Frau des Ortes gehören. Die Temperaturen waren sehr angenehm aber ich unterschätzte die Sonneneinstrahlung: Folge war ein Sonnenbrand auf dem Kopf und ein Sonnenstich, der mich fast auf offener Straße in Ohnmacht fallen ließ.

Garten

Garten der Plantagenbesitzerin

Die Besitzerin der Plantagen lernten wir später noch in der Kirche des Ortes kennen. Sie war sehr erstaunt, deutschsprachige Leute zu treffen. Ihr fast verloren gegangenes Deutsch reichte aber noch, das wir ins Gespräch kamen und sie uns in ihr Haus eingeladen hat. Es war kolonial eingerichtet und der Garten rund ums Haus war für die Gegend der echte Knaller: korrekt geschnittener Rasen und die Hecken an der Grundstücksgrenze waren liebevoll in Form gebracht. Bei einer Tasse Tee stellten wir uns vor und sie erzählte uns, wie sie nach Südamerika kam.
Nach einigen Tagen machten wir uns dann auf den Weg zum Titikaka See. Die lange Busfahrt dorthin war abwechslungsreich und der Anblick unseres Zielortes aus den Bergen hat sich bis heute bei mir eingebrannt.

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